Dr. Med. Manfred Stelzig Msc. im Interview zur “Mode-Krankheit” Burnout und der Burnout Prävention.
Dr. Med. Manfred Stelzig Msc. zum Thema Burnout, Burnout Prävention und Diagnose
Jeder zweite Arbeitnehmer klagt laut EU über Stress im Arbeitsalltag. Viele leiden unter dem enormen Druck. Depressionen und “Burnout” können die Folge sein, heißt es allgemein.
Doch was bedeutet Burnout überhaupt, gibt es eindeutige Anzeichen dafür und wie kann man der Überlastung vorbeugen? Wir haben mit dem Psychiater und Firmencoach, Dr. Med. Manfred Stelzig MSc., gesprochen und das Thema gründlich beleuchtet.
Arbeitsbedingter Stress verursacht mittlerweile mehr als die Hälfte aller Krankenstandstage. Gerade jetzt heißt es, dass jeder 4. Österreicher Burnout-gefährdet ist. Aber was ist Burnout überhaupt und warum sind so viele von dieser Krankheit befallen?
Dr. Stelzig: Zunächst einmal gilt festzuhalten, dass das Burnout-Syndrom nicht als “eigenständige” Krankheit im Sinne des ICD-10, dem weltweit anerkanntesten Diagnoseklassifikationssystem der Medizin zu sehen ist. Es ist eine Zusatzdiagnose, die Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung beschreibt.
Ist es nicht dennoch ein erschreckender Wert?
Dr. Stelzig: Natürlich. Und er ist keinesfalls zu bagatellisieren. Die Überlastung im Alltag – sei es privat oder beruflich oder gar im Zusammenspiel – ist auf jeden Fall ernst zu nehmen. Je höher der Stress, desto höher die Gefahr, körperlich oder psychisch zu erkranken.
Stress, Stress, Stress – ist das immer nur negativ?
Dr. Stelzig: Stress im Allgemeinen ist keinesfalls schlecht. Laut Definition versteht man unter Stress “die Beanspruchung (Auswirkung der Belastungen) des Menschen durch innere und äußere Reize oder Belastungen (objektive, auf den Menschen einwirkende Faktoren sowie deren Größen und Zeiträume)”.
Daran ist in erster Linie nicht Schlechtes. Aber: es geht darum, wie der Stress auf uns wirkt. So gibt es den positiven Stress, der uns motiviert und antreibt – ja, uns sogar zu Höchstleistung treiben kann. Als negativ empfunden wird Stress, wenn er häufig oder dauerhaft auftritt und körperlich und/oder psychisch nicht kompensiert werden kann. Deshalb wird er als unangenehm, bedrohlich oder überfordernd empfunden. Diese Form des Stress verstehen wir als Disstress.
Die EU bewertet berufsbedingten Stress mittlerweile als zweitgrößtes Gesundheitsproblem am Arbeitsplatz – die Tendenz ist steigend. Woran kann das liegen?
Dr. Stelzig: Die Menschen müssen, sollen und wollen in immer weniger Zeit immer mehr leisten. Oft liegt es auch daran, dass nicht die nötigen Führungskräfte vorhanden sind, um die Organisation zu übernehmen. Die Menschen fühlen sich dadurch verloren und überfordert. Frauen sind durch die Mehrfachbelastung von Beruf und Familie in gewisser Weise bedrohter als Männer.
Der “soziale Stress” spielt übrigens auch eine immer größere Rolle. Wir müssen immer und überall schnell sein. Wir sind mit permanenten Stressoren konfrontiert. Hier ein Facebook-Post, dort eine SMS oder Mail. Diese Überflut an Informationen kann nicht schnell genug verarbeitet werden. Während die Außenbühne immer mehr Aufmerksamkeit sucht und erhält, verkümmert die Innenbühne, die reflektierenden Prozesse in uns, zunehmend.
Wie kann man sich das Gefühl von Burnout vorstellen?
Dr. Stelzig: Das ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. So individuell wie die Belastungsgrenze, so einzigartig auch das Symptom.
Viele Beschrieben das Gefühl bildhaft als “als würde man gleichzeitig auf der Bremse stehen und Vollgas geben”. Andere fühlen sich einfach nur schlecht, müde, antriebslos und/oder reagieren körperlich.
Gibt es so etwas wie einen Phasenplan des Burnouts?
Dr. Stelzig: Wie gesagt – es ist immer individuell zu sehen. Aber von heute auf morgen passiert die Überlastung eigentlich nie:
- Anfangs will man den Stress gar nicht wahrhaben. Man ignoriert ihn oder man bagatellisiert. Man denkt sich: “Es muss einfach gehen” bzw. “ist halt so” oder “wird schon werden” – sowohl privat als auch beruflich.
- Mit der Zeit aber, wird man müder. Viele reagieren genervter als sonst oder wirken aggressiv. Auch die Konzentration leidet und körperliche Symptome wie Kopf- oder Gliederschmerzen machen sich bemerkbar.
- Es geht dann so weit, dass man Schlafstörungen bekommt bis hin zu Panikattacken, Herzrasen oder Ohnmachtsgefühle.
- Schlussendlich kommt es zur vollkommenen Erschöpfung.
Auch wenn das alles bekannt ist, warum gilt Burnout dann als “Mode-Krankheit”?
Dr. Stelzig: Das Problem ist, dass der Begriff “Burnout” immer einen Leistungsbezug herstellt. Man assoziiert damit, dass im Vorfeld Großartiges vollbracht wurde, unter dessen Last man folglich zusammenbricht. Während Depression, gerade bei Männern, oft mit Schwäche verbunden wird, hängt an einem Burnout irgendwo auch Anerkennung und zum gewissen Grad auch Stolz.
Was kann man dagegen tun bzw. wie kann dem Burnout vorbeugen?
Dr. Stelzig: Für die Burnout Prävention müssen sich die Menschen trauen, ‚Nein‘ zu sagen. Stress-Erkrankungen sind nicht zu tabuisieren oder abzuwerten, sondern ernst zu nehmen. Wir müssen lernen, in der Stress-Waage zu denken. Dass wir sehen: Was ist das, was uns auf der einen Seite belastet? Und was gibt Lebensfreude, Ausgleich? Wie kommen wir wieder zur Entspannung? Das wird zunehmend wichtiger. Die Pflege des eigenen Seelenhauses sozusagen.
Über Dr. Manfred Stelzig MSc.
Dr. Med. Manfred Stelzig Msc. ist Facharzt für Psychiatrie und Neurologie. Zudem ist er Lehrtherapeut für Psychodrama im Rahmen des ÖAGG (Österreichischer Arbeitskreis für Gruppendynamik und Gruppentherapie) und der österreichischen Ärztekammer. Er ist Supervisor, Einzelcoach und hatte Lehraufträge an der Donau-Universität Krems im Rahmen des ÖAGG und vereinzelt Tätigkeiten an der Universität Innsbruck und Salzburg. Zudem ist er Speaker und Buchautor.
Seit 2013 ist er außerdem als selbständiger Firmencoach und Berater tätig. In seinen Coachings unterstützt er Unternehmen in der Verbesserung der Stimmung im Team, des Betriebsklimas, des Vertrauens, des Zusammenhalts, der Motivation, der Mitarbeiterführung, der Work-Life-Balance, der Konfliktregelung sowie dem sozialen Umgang innerhalb eines Teams.
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